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Dienstag, 31. August 2010
[zerbrochen]
Die kleine Ilse war ein ungeliebtes Kind. Der Vater hatte die Mutter in den Nachkriegswirren sitzenlassen, so saß sie nun da mit so einem unehelichen Balg, das eigentlich nur im Weg war. Später lernte die Mutter ihre große Liebe kennen und bekam mit diesem Mann auch einen Sohn. Fortan war der Sohn ihr ein und alles. Wenn es Kartoffelsuppe gab, dann bekam der Sohn die Kartoffeln und die kleine Ilse bekam die Kartoffelschalen zu essen.
Trotzdem liebte die kleine Ilse ihren Bruder und kümmerte sich rührend um ihn, machte den Haushalt und als sie die Volksschule beendet hatte, sagte ihre Mutter, sie müsse arbeiten und dürfe nicht mehr zur Schule gehen. Ihren Lohn mußte Ilse der Mutter geben, für sich selbst konnte sie nichts behalten.

Aber Ilse hatte eine gute Freundin, Hanna, mit der sie jede freie Minute teilte, wenn sie daheim nicht arbeiten mußte. Sie kannte sich schon seit frühen Kindertagen und waren unzertrennlich.

Als die politischen Verhältnisse in der sowjetischen Besatzungszone sich dramatisch veränderten, zog Hannas Familie nach Westdeutschland. Doch in den Sommerferien kam sie weiter in den Osten und verbrachte dort die Zeit auf dem Land und jede freie Minute war Ilse mit Hanna zusammen.
Hannas Familie war noch regulär übergesiedelt und sie hatten in einer größeren Stadt ihr Geschäft weitergeführt.

Später mußte Ilses Familie fliehen, sie kamen in den Westen und hatten nichts als die Dinge, die sie mit sich tragen konnten.

Fortan lebten Hanna und Ilse einige 100 km auseinander, aber dennoch sahen sie sich regelmäßig, denn Ilse fuhr in den Ferien zu ihrer Freundin.
Hannas Mutter sah, daß Ilse von ihrer Mutter ausgenutzt wurde und nicht mehr zur Schule gehen durfte. Da schlug sie vor, daß Ilse zu ihnen ziehen sollte. Sie könnte eine Ausbildung in ihrem Geschäft machen und auch weiter zur Schule gehen, damit sie etwas aus sich machen konnte. Sie sollte mit der Familie leben als wäre sie ihre Tochter, sie hatten schon ein Zimmer ausgesucht und Ilse war überglücklich.

Es gab wohl noch einige Dinge zu klären, jedenfalls schrieb Ilse einen Brief mit Fragen, damals telefonierte man ja noch nicht, doch auf diesen Brief gab es keine Antwort.
So schrieb sie noch einen Brief und dann noch einen und Brief um Brief blieb unbeantwortet.
Irgendwann kam ein Brief von Hannas Mutter. Ilse solle nicht mehr schreiben.
Keine Erklärung.
Ilse war verzweifelt. Was war geschehen? Was hatte sie falsch gemacht? Hatte sie Hanna oder ihre Familie verärgert? War sie wirklich nichts wert, so wie ihre Mutter es immer sagte? War das der Grund, weshalb man sie dort nicht haben wollte?

Ilse sitzt mir gegenüber. Heute ist sie über 60. Sie sagt: ich hatte nie wieder eine Freundin, es ging einfach nicht. Ich habe nur viele Bekannte.

Und hast Du nie wieder etwas von ihr gehört?, frage ich.
Die Mutter sei wohl noch regelmäßig in den Osten gefahren, erzählt sie und dort lebe ja auch noch ihre Stieftante. Hannas Mutter habe sich dann regelmäßig nach dem Befinden von Ilse erkundigt, sich auch einmal die Telefonnummer geben lassen, aber gemeldet habe sich nie jemand.

Wenn ich sie ansehe, wirkt sie kindlich und brüchig, diese kleine Frau.



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Dienstag, 13. Juli 2010
[alp]
Am Morgen plötzlich blitzartig wach aus einem plastischen Traum.
Die Kollegin, die im letzten Jahr das Unternehmen verließ, um ihr Studium zu beenden und sich dann nicht mehr meldete, plötzlich steht sie im Traum vor mir, abgemagert, in einem weißen Kleid, der linke Arm in der Mitte des Oberarms abgetrennt, die rechte verstümmtelte Hand reicht sie mir zur Begrüßung in ihrer gewohnt burschikosen Art.

Ich hatte versucht, den Kontakt zu ihr aufzunehmen, einen Brief geschrieben, der nicht zurückkam, aber auf den auch keine Antwort folgte. Über fünf Ecken hörte ich etwas von einer Krankheit, aber nichts Bestimmtes.
Ein schwieriger Mensch, aber auch geradeheraus, unverstellt und ehrlich, vielleicht deshalb auch als so schwierig empfunden, weil der Puffer des sozialen Stoßdämpfers im Gewand von Höflichkeit fehlte.
Frage mich, warum ich sie in einem Kleid träume, sie trug immer Hosen, war eher maskulin, Mode war ihr sichtlich egal, Kleidung mußte praktisch sein und haltbar.
Sparsam war sie und lebte von wenig. Dann irgendwann kaufte sie ein neues Auto, Geld war genug da, sie hielt nichts von Krediten.
Und dann kündigte sie, hatte sich alles ausgerechnet: 8 Monate könne sie sich von ihrem Ersparten finanzieren, in dieser Zeit endlich das Abendstudium beenden, das sich schon ewig hinzog, Krankenversicherung finanzieren, Diplomarbeit schreiben und dann etwas anderes machen, der Laden hier stank ihr.

Sie ging immer mit uns essen, nie mit den Leuten aus ihrer Abteilung, schien ein gutes Netzwerk zu haben innerhalb der Firma. Aber ihren Abschied hielt sie klein, sie wollte keine Feier, sagte, sie komme vorbei.
Ich buk einen Zwiebelkuchen, weil sie Süßes nicht so gerne mochte, kaufte einen Blumenstrauß.
Als sie kam, standen wir ratlos, jeder aß sein Stück Zwiebelkuchen.
Sie hinterließ keine Kontaktdaten.




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Montag, 12. Juli 2010
[gestört]
Manchmal gelingt es einem einfach nicht, mit einem anderen ins Gespräch zu kommen, auch wenn es einem selbst so scheint, daß man eigentlich gar keine ungewöhnlichen Anliegen hat und irgendwie haben alle anderen, mit denen man bisher gesprochen hatte, auch nicht den Eindruck hinterlassen, man stelle unerhörte Ansprüche oder sei sonst irgendwie völlig neben der Spur.

Und dann trifft man plötzlich auf Leute, die irgendwie alles mißverstehen zu wollen scheinen, schnippisch werden, wenn man nicht so tickt wie sie und dann auch noch ausfallend werden.

Ich kann da nur den Kopf schütteln.
Aber wie war das eigentlich?

Der Liebste hat im Rahmen des Projektes (welches noch geheim ist und weswegen ich unbestimmt bleibe) einen Anbieter kontaktiert, welcher bestimmte Dienstleistungen hierfür erbringen könnte. Die Ansprechpartnerin war erst nur sehr schwierig erreichbar, beschwerte sich dann allerdings, daß der Liebste mehrfach versucht habe bei ihr anzurufen, ohne dabei eine konkrete Nachricht zu hinterlassen.
Da schon Fragezeigen auf unserer Seite. Der eine zieht ja die direkte Kommunikation vor, der andere spricht auf jede Mailbox, die ihm unterkommt, da ist ja jeder verschieden. Naja.

Dann verweigert die Dame am Telefon die Übermittlung wesentlicher Informationen, sondern besteht darauf, Unterlagen per eMail zu schicken. Ist ja in Ordnung. So kämpft man sich durch einen megabytebroßen Anhangswust und erfährt am Ende genau das, was man eigentlich wissen wollte und am Telefon gerne geklärt hätte: nicht.

Eigentlich hätte man an diesem Punkt die ganze Sache schon abblasen müssen, aber wir haben es dann doch durchgezogen.
Termin gemacht, hingefahren, das Angebot in Augenschein genommen.
Wieder schnippische Antworten auf relativ normale Fragen, was im Grunde wohl darauf zurückzuführen war, daß wir die Dienstleistung wohl falsch eingeschätzt hatten, die von diesem Anbieter angeboten wird, aber anstatt zu sagen, nein, das ist wohl ein Irrtum, wir bieten nur dieses an und nicht jenes oder aber: wenn Sie jenes möchten, kann ich Ihnen gerne Anbieter xyz empfehlen, mit dem wir zusammenarbeiten, nein: Schnippedischnipp.
Und vorher bei der Terminvereinbarung auch schon, ja was man sich denn denke bei diesem Termin, da wäre ja der Nachbardienstleister gar nicht verfügbar. Man solle doch erstmal den anrufen. Nachbardienstleister hat überhaupt kein Problem und sagt, man solle diese schnippische Dame anrufen.

Im Endeffekt schreibt der Liebste zwei höfliche Absagen, man bleibt freundlich und ich bin erleichtert.

Dann der Eklat:
Der Anbieter schickt eine unverlangte Werbe-eMail (was per se ja, wenn man ganz gemein ist, abmahnfähig ist), der Liebste reagiert unwirsch und bittet um Verschonung mit selbigem in der Zukunft.
Was darauf folgt, hat man sicherlich noch in keinem Marketinghandbuch gelesen:
Der Chef der schnippischen Dame meldet sich persönlich, verbittet sich den Ton, der eine Zumutung sei und überhaupt, unsere Anfrage könnten wir vergessen und reitet dann noch darauf herum, daß der Liebste wohl vergessen habe, ihn mit dem korrekten Titel anzureden, wo der Liebste doch den gleichen Titel hat wie dieser Herr und man sich unter seinesgleichen ja nicht die Titel unter die Nase reibt, aber es gibt ja Leute, und dann mit einem verbalen Seitenhieb hält dieser Herr ihm dann noch vor, man sei ja sozusagen unter dessen Würde.

Wie man mit so einer Einstellung wohl ein Geschäft aufziehen will?
Wenn diese beiden Leute mit der Klientel zu tun haben möchten, die denen so vorzuschweben scheint, dann müssen sie sich eine weitaus kundenorientiertere Gesinnung zulegen, denn Leute von deren Kategorie haben noch ganz andere Ansprüche an Service und Dienstleistung als wir. Aber die schicken wahrscheinlich nur einen Schergen vorbei, der das alles für sie regelt.

Ich kann nur hoffen, daß diese Leute Lehrgeld bezahlen und zwar nicht zu knapp.



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Montag, 14. Juni 2010
[Ich könnte....]
...Ihnen Geschichten erzählen, fragense nicht!

Da findet man sich an einem bildschönen und malerischen Ort wieder, auf einer Terrasse und am Nebentisch sitzen Superreiche im Rentenalter und lästern über Hartz IV-Empfänger, über deren Lebenswirklichkeit sie natürlich genauestens Bescheid wissen, Sozialschmarotzer und so, echauffieren sich über gewisse Dinge, die sie als "primitiv" bezeichnen und sprechen derart lautstark zwischen den Kuchenbissen - es wird übrigens nicht geschluckt, bevor weitergesprochen wird -, daß ich in meinem Korbstuhl stocksteif werde und sich eine innere Feder immer weiter aufzieht, so als würde ich jeden Moment aus dem Sitz katapultiert werden, um fluchtartig das Gelände verlassen zu können.

Sehr, sehr schwierig, da den Mund zu halten.



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Montag, 22. März 2010
[Pfffffft]
Am Morgen auf dem Weg von der Bahn zum Büro eine Kollegin getroffen.
Ich erstaunt, frage, sie führe doch normalerweise nicht mit der Bahn.
Nein, sagt sie, Führerschein weg, zu schnell gefahren.
Aha.
Dann ein wenig Lamentieren über die Unbequemlichkeit des Arbeitsweges, die ihr nun für einen Monat bevorstehen und dabei stehen wohlgemerkt die Dinge nicht im Vordergrund, die mich am Bahnfahren am meisten nerven: andere Leute, laute Leute, stinkende Leute, hektische Leute, im Weg stehende Leute, Verspätungen, überhaupt olfaktorische Belästigungen, akustische Belästigungen, Infektionsrisiko, das Unvermögen, das Raumklima zu beeinflussen.
Nein, sie sagt tatsächlich: es wären ja schon alleine 10 Minuten, die sie zu Fuß zum Bahnhof laufen müsse.
Ich, freundlich lachend: Na, das ist aber richtig weit....
Pfffffffffffffft.

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Termin mit dem letzten hilfsbereiten und freundlichen Mitarbeiter des IT-Dienstleisters wegen eines Features, das wir gekauft haben, d.h. sie haben es nach unseren Wünschen angefertigt. Nachdem wir auch mit der zweiten Dokumentation inklusive vieler Screenshots nicht in der Lage waren, das System anzuwenden, nun dieser Termin.
Der Herr ist nicht vorbereitet, es stellt sich heraus, daß wesentliche Inhalte in der Anleitung fehlten sowie auch Details, die wir nicht wissen konnten, vorausgesetzt wurden und dann auch noch Sprachkonflikte bzw. Übersetzungsschwierigkeiten auftraten.

Gewissensfrage: Jetzt immer noch freundlich bleiben, alles herunterschlucken, sozusagen ganz professionell, oder dem Typen einfach mal Gegenwind geben, dann aber mit der Gefahr, daß wir mit diesem unbrauchbaren Zeug, das ziemlich teuer war, sitzenbleiben, ohne Eskalationsmöglichkeit oder etwas Ähnlichem.

Wir sind freundlich geblieben, ich allerdings immer hinter dem Rücken des Herrn immer in Richtung TL Augen verdreht


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Montag, 8. März 2010
[begrabene Träume]
Jahrelang verschiebt man die Dinge, weil ja noch Zeit ist. Es drängt ja nicht, es gibt keinen Grund, die Dinge anzugehen. Und manchmal bräuchte es für den Start zur Verwirklichung eines Traums ja auch die eine oder andere Zutat, die man nicht selbst und eben nicht alleine beisteuern kann, manchmal, da lassen sich Träume eben nur verwirklichen, wenn man einen zweiten Ruderer mit im Boot hat.

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Warum ist W. denn nun nicht mit Dir zusammengezogen, frage ich sie ganz direkt und sie eiert ein wenig herum, vielleicht, weil sie es nicht wirklich weiß, denn er hat sich selbst auch gar nicht so klar artikuliert, schwammige Ausreden und vorgeschobene Argumente, Unterhaltszahlungen für die Tochter, der Unfall, die restless legs, das jahrelange Alleinewohnen und die Schrullen, mit denen das einhergeht, das Mißtrauen, das immer noch da ist, wegen der schlechten Erfahrungen aus seiner Ehe.
Zehn Jahre sind sie nun zusammen, haben einige Krisen durchgestanden, durch dick und dünn sozusagen und dann, dann ist man in einem Alter, wo man sich eben nicht mehr so leicht tut mit der Veränderung, mit einem Umzug, wo man vielleicht sagt, wenn ich jetzt umziehe, dann will ich da auch länger bleiben und nicht bloß zwei Jahre, also investiere ich da auch etwas mehr Geld, damit ich's dann auch auf längere Zeit schön habe und wenn man diese Entscheidung trifft, dann ist damit auch die andere Entscheidung abschlägig beschieden, dann kann man nicht nach zwei Jahren vielleicht sagen, ok, nee, wir machen es jetzt doch anders und ziehen doch zusammen, denn dann ist kein Geld mehr da, jedenfalls nicht in der Menge und die Kräfte und Nerven vielleicht ja auch nicht.
Und vor allem dieser Stachel der Enttäuschung, jetzt abgelehnt worden zu sein und zu wissen, daß diese Entscheidung jetzt auf längere Sicht, wenn nicht gar für immer getroffen wurde.

Plötzlich schießen ihr die Tränen in die Augen und in ihrer burschikosen Art sagt sie eben nicht, wie traurig sie das macht und wie verletzt sie deswegen ist, sondern "Du merkst ja, wie mich das anpißt", sagt sie und wischt sich trotzig die Tränen weg, schluckt alles runter und höhnt noch, ja, vor kurzem seien sie noch irgendwo unterwegs gewesen, ländlich und da habe er gesagt, "Ach, hier kann man ja auch gut wohnen".


Ein wenig kann ich es verstehen, es ist dieser symbolische Akt, der die Beziehung besiegelt oder eben auch nicht, das Sich-Bekennen, oder eben auch nicht.

Ich mag auch nicht über das Heiraten reden oder über Kinder, das Thema hat sich ohnehin erledigt. Und damals, da hätte man ja sagen können, ok, wir beide hauen ein paar Jahre richtig rein und leben sparsam und dann können wir vielleicht etwas kaufen oder etwas bauen, aber stattdessen Mietwohnung bei krankhaft verspießten Leuten.
Über die letzten 15 Jahre habe ich auch so manchen Traum begraben und so manche Kränkung eingesteckt.
Vielleicht heiraten wir ja doch mal, wer weiß, und was die Zukunft bringt, weiß keiner.
Und Träume kann ich ja trotzdem weiterhin haben.
Nur andere.



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Montag, 25. Januar 2010
[Obdachlosenzeitung]
Dieses Ding mit der Obdachlosenzeitung, habe ich das das schonmal thematisiert? Ich bin nicht sicher, denn immer noch bringt mich so ein Verkäufer einer Obdachlosenzeitung in die innere Zwickmühle.

Da steht also dieser Verkäufer und ich, ich könnte also ein gutes Werk tun und ihm eine seiner Zeitungen abkaufen. Das habe ich in der Vergangenheit auch schon getan, aber ganz ehrlich: die Zeitung hat mich nicht angesprochen, ich weiß nicht, was ich damit soll, außer sie direkt zu entsorgen. Und das wäre Quatsch, denn bei uns landen schon genug ungelesene Zeitungsseiten in den Papiermüll.
So, nun könnte ich dem Mann also Geld geben und sagen, daß ich die Zeitung nicht will. Dann bekäme er aber Geld ohne Gegenleistung, also einen Almosen, was dem Konzept des Verkaufs von Obdachlosenzeitungen widersprechen würde, denn die Leute sollen ja eben nicht betteln und ihr Geld so bekommen, sondern sie demonstrieren ja, daß sie etwas dafür tun.

Warum verkaufen die nicht normale Zeitungen?, frage ich mich. Und der Liebste erklärt, daß es ja durchaus so gewollt ist, daß diese Leute Dinge machen, die möglichst sinnfrei sind, damit sie keine Konkurrenz für den Rest der Gesellschaft darstellen.
Aber so ein Quatsch, denke ich oft, schließlich hätte ich mehr davon, wenn der Mann mir dabei hilft, meinen Balkon zu schrubben oder die Fenster oder die Treppe putzt, sowas halt.
Wäre es nicht sinnvoller, wenn es sowas gäbe wie Sozialversicherungsmarken und man könnte die Leute vom Fleck weg rekrutieren und sie dabei noch sozial absichern? Ich glaube, in Frankreich gibt es sowas.
Naja, Deutschland, hier geht sowas halt nicht.

Jedenfalls habe ich die Situation für mich immer noch nicht gelöst.
Meine Mutter kauft den Leuten dann immer was zu essen, Brot oder Bananen. Aber was macht man, wenn die dann kaum Zähne haben oder Banenen nicht mögen? Wäre ja auch gemein.

Da ist dann also dieser Obdachlosenzeitungsverkäufer, der jeden Tag am Bahnhof steht und immer freundlich ist. Er hat ein Frettchen und das Frettchen ist sein Freund.
Also dachte ich mir: kaufste Frettchenfutter und gibst es ihm. Das ist noch halbwegs sinnvoll.
Also ich am Freitag in der Zoohandlung Frettchenfutter gekauft, nach Wochen der Inkubationszeit versteht sich und dann auf dem Weg zum Arzt das Futter dabei, aber nirgendwo der Obdachlosenzeitungsverkäufer.
Und heute morgen schlurfe ich müde mit der Tüte zum Zug: ist er auch nicht da!

Das Leben macht es einem nicht leicht, denke ich. Es ist viel einfacher, jemandem zehn Euro in die Hand zu drücken, als unter Umständen tagelang vergeblich mit dieser nicht gerade kleinen Tüte Frettchenfutter herumzueiern.
Jetzt steht sie jedenfalls neben meinem Schreibtischcontainer.



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Montag, 9. November 2009
[Glaube]
Ich bin nicht religiös, habe keinen ausgeprägten Glauben, der mir eine Richtung vorgibt.
Natürlich bin ich geprägt durch ein christliches Elternhaus und die Werte, die unsere Kultur mir mitgegeben hat.
Ich habe Respekt vor dem Glauben anderer, tue diese, auch wenn ich selbst nicht deren Überzeugungen teile, nicht als krude Spinner ab, benehme mich in Gotteshäusern respektvoll und angemessen, um die nicht zu beleidigen, denen so ein Ort heilig ist.

Jetzt wurde ich vor nicht allzulanger Zeit in einem Radiointerview (spielt hier keine Rolle mit wem) an ein Lied erinnert, nämlich "Always look on the bright side of life" von Monty Python.
Monty Python, das war während unserer Schulzeit der Oberkult und galt als die Krönung des Humors. Ok, wir waren jung. Und natürlich habe ich alles von Monty Python gesehen, auch "Das Leben des Brian", aus dem dieser Song stammt.

Jetzt hörte ich also diesen Song wieder und dachte bei mir, oh, der ist wirklich cool, lustig, die Szene sarkastisch und humoristisch im Grenzbereich, aber ehrlich: was haben wir gelacht und beim Verlassen des Kinos oder am Ende des Videoabends noch mitgesummt.

Mir fiel auf, daß das Lied sogar irgendwie tanzbar ist; ist eben so eine Marotte seit ich tanze wird halt alles auch Tanzbarkeit abgeklopft. Ok, bissi schnell für einen Slowfox, aber durchaus tanzbar.
Und am Wochenende, es war schon spät am Welttanztag und die meisten Gäste waren schon weg, da habe ich dann gefragt, ob die Tanzlehrerin denn zufällig dieses Lied habe.
Ja, nee, hm, von wem das denn sei und ich so "Das Leben des Brian" und sie war total entsetzt.
Dieser Film sei Gotteslästerung und überhaupt, sie habe den ja nach 10 Minuten ausgeschaltet und sowas würde sie nicht sehen, sie sei ein tiefgläubiger Mensch und das sei ja nicht zu ertragen.

Man kann sich vorstellen, daß mir angesichts dieser heftigen Reaktion die Situation äußerst peinlich war und ich hilflos stammelte, daß es ja in dem Film nicht um Gott oder Jesus ginge, der ja lediglich am Kreuzweg in einer Nebenrolle auftauche, sondern eher um einen gewissen Brian, der hilflos durchs Leben stolpert und den irgendwelche Leute aus unerfindlichen Gründen für erleuchtet halten.
Gottseidank, dachte ich mir, kennt sie dann die Hintergrundszene dieses Songs nicht, das hätte aber ein Hallo gegeben, eieieieieieiei.....
Und keine Frage: dieser plötzliche Ausbruch hat zwischen mir und dem Liebsten für reichlich Diskussionsstoff gesorgt.

Bevor ich aber unsere Gedankengänge hier darlege, würde mich interessieren:
Wie ist das bei Euch mit dem Glauben?
Kennt Ihr den Film?
Findet Ihr den lustig oder fürchterlich und gar blasphemisch?


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Freitag, 6. November 2009
[heile Welt in Trümmern]
Diese großen, gelben Bodenreinigungsmaschinen, die mit denen sie unten am Empfang die großen Flächen dieser glänzenden Fliesen putzen...
Gestern bin ich spät rausgekommen und unten fuhr wieder der Mann seine Runden mit der großen gelben Bodenreinigungsmaschine.
Zwei Wochen, habe ich da gedacht, zwei Wochen ist es her, als sie hier standen, alle zusammen, die Kollegin, ihr Mann und der kleine Sohn.
Es war auch spät geworden, draußen war es dunkel, und der Mann war mit dem Sohn gekommen, um sie abzuholen, weil sie solche Rückenschmerzen hatte und der Kleine war ganz verzückt, denn er hatte mitfahren dürfen, oben drauf auf der großen gelben Bodenreinigungsmaschine.
Und als ich durch die Schleusen ging, sagte ich hallo und blieb kurz stehen, wechselte ein paar Worte.
Und sie gaben ein schönes Bild ab, denn sie lieben sich alle und freuen sich an diesen Dingen, auch wenn das Leben nicht immer einfach ist.

Zwei Wochen.
Gestern vor zwei Wochen war die Welt in Ordnung.
Gestern vor zwei Tagen ist ihr Mann beerdigt worden.



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Dienstag, 29. September 2009
[Verschärfter Familienanschluß]
Heute Nacht geträumt, der im Haus wohnende Vermieter habe sich durch Überrumpelungstaktik zusammen mit seiner Frau Zutritt zu unserer Wohnung verschafft, also, Ding-Dong, man öffnet die Tür und zack, sind sie schon drin.* Wir natürlich gar nicht erfreut und im Verlauf des sich dann entfachenden Streits raste ich komplett aus und schütte dem Herrn dann einen Eimer mit Joghurt auf seine Maler-Latzhose, um ihn sofort darauf anzuherrschen: "Und DIE wasche ICH!".



*Das ganze hat natürlich seine Historie: Der Herr möchte gerne eine Art Kontrollbesuch bei uns machen, obwohl er anläßlich kleinerer Reparaturarbeiten bereits bei uns in der Wohnung war und sie hatte in Augenschein nehmen können. Es geht also wohl eher nicht um die Begehung an sich, sondern um die Demonstration seiner Eigenschaft als Chef vons Ganze. Mich sprach der deshalb auch unlängst noch einmal an, um mir mit gewichtiger Miene zu sagen, daß er ja bei Haus & Grund sei und daß man als Vermieter alle zwei Jahre ein Anrecht auf so eine Begehung habe. Die Recherche der aktuellen Rechtsprechung ergab aber Gegenteiliges, weshalb ich mich darauf berief, er solle sich erstmal mit der Miteigentümerin, Nachbarin und Cousine in Personalunion einigen. Die wiederum hatte wenige Tage später in einem Newsletter von Haus & Grund in der Rubrik "die 10 hartnäckigsten Irrtümer der Vermieter" eben genau jenes Thema gelistet gefunden mit, tja, raten Sie mal, welchem Ergebnis?




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