Mittwoch, 15. Februar 2012
[Lieber Chefchef... ]
...
eigentlich rede ich mit Dir nicht mehr über Probleme, denn Du kennst keine Probleme, nur Herausforderungen. Herausforderungen sind das Neusprech, das Superplusgut für Unternehmen wie dieses, für das wir arbeiten. Eigentlich bist Du ok, aber wir haben verschiedene Blickwinkel. Und Du weißt auch nicht, daß einen Dinge bis ins Mark treffen können, denn einer wie Du, der ist irgendwie wie ein Klotz, Dich trifft etwas höchstens bis kurz unter die Haut, Du bist so ein Typ. Als ich vor ein paar Jahren einmal einen anderen Job angeboten bekam und mit Dir darüber sprach, daß ich eigentlich nicht gehen wolle, daß ich aber andererseits auch Perspektiven bräuchte, versprachst Du Perspektiven. Aber dann bekam ich keine. Und am Ende hieß es: Du mußt sie selbst suchen. Aber Du hast einen anderen Blickwinkel.
Denn während Du in Meetings sitzt und mit Leuten redest den ganzen Tag, da sitze ich an meinem Schreibtisch, ganz am Ende der Informationskette, ich sehe keine neuen Themen und Herausforderungen am Horizont auftauchen; wenn ich sie sehe, dann sind sie an Dir längst vorbeigezogen. Das ist ein Problem, keine Herausforderung.
Dann gibt es das Problem des Chefs, der zwischen uns sitzt, denn das ist einer, der sich tot stellt.
Als Du vor ein paar Jahren dann mal eine Aufgabe für mich hattest, da hast Du es total verpatzt und durch Dein Voraussetzen von Wissen, das ich nicht hatte und nicht haben konnte, verstrickt mit persönlichen Dissonanzen, bin ich einfach vor Wände gelaufen. Und am Ende meintest Du, die blauen Flecken ließen sich mit „Oh, das habe ich wohl verbockt“ komplett wegerklären und als ich dann, weil die Dinge für mich keineswegs klar waren, nochmal ein Gespräch mit Dir hatte, bist Du einfach ausgeflippt, so daß es mir sowohl Sprache und Vertrauen komplett verschlagen haben. Ich wollte dann eigentlich nur meine Ruhe und meinen Job tun. Aber das konnte ich dann in diesem Punkt nicht mehr, denn Dein Protege ließ es nicht zu. Und statt zu protestieren, hielt ich still, denn ich vertraute Dir nicht mehr und jedes weitere Gespräch hatte sich erübrigt.
Zeit ging ins Land und ich begann mich vollends auf andere Dinge zu konzentrieren, außerberuflich.
Trotzdem nagte es an mir, daß ich zeitweise tage-, vielleicht auch wochenlang nicht wirklich etwas Substanzielles zu tun hatte, nicht wußte, wie ich mir selbst Arbeit beschaffen sollte, wie etwas dazulernen. Mein Selbstvertrauen war auch geschwunden und während Kollegen um mich herum ständig gestreßt und überarbeitet schienen, da war ich unterfordert und gelangweilt, fühlte mich degradiert zum Knöpfchendrücker, dem man ab und zu ein Arbeitsbröckchen hinwirft. Und jedes Bröckchen habe ich nur zu dankbar angenommen. Und dann kam das THEMA. Erst schien es unscheinbar und keiner wußte, ob es jemals an Wichtigkeit gewinnen würde, aber ich sah eine Chance, nicht auf Karriere oder Ruhm, sondern auf eine interessante Aufgabe. Und ich machte und tat und das THEMA gewann an Größe und bescherte mir Folgearbeit, aber es war auch klar, daß das THEMA so groß wurde, daß es nicht mehr sinnvoll war, es mir alleine zu überlassen. Die angewachsenen Prozesse, die Menge wichtiger Dinge, keine wirkliche Dokumentation, keine Automatisierung, so Dinge eben, Dinge, die andere besser können. Wir sind eben das Team für die Einzelfälle oder für die Initialanschiebung für Themen, aber nicht die, die es zur Dauerinstitution machen .
Ich bin, was die Sachebene angeht, zugänglich. Und die Sache ist: Prozeßsicherheit, Datensicherheit, Automatisierung, denn: was ist, wenn ich morgen vom Lkw überfahren werde – das ist ja immer das worst case scenario, wie man so schön sagt. Dann wäre eigentlich alles hinüber gewesen und diesen Umstand gilt es doch zu vermeiden, also Rückfallebenen schaffen.
Es war im Herbst des letzten Jahres, das THEMA war längst ein Klotz am Bein für mich, denn nichts hatte sich an der Lage verändert. Stattdessen wurde alles chaotisch. Anforderungen von Kunden kamen unstrukturiert und ungefiltert, es gab keine zentralen Instanzen, es wurde für selbstverständlich erachtet, daß ich (ohne vorab-Informationen) neue Bestandteile in das THEMA sofort integrierte und alle Seiteneffekte dabei beachtete. Ich fand mich in Diskussionen wieder, in denen ich sinnvolle Ergebnisse als Ziel hatte, meine Gesprächspartner aber andere Motive hatten. Es überforderte mich, aber ich bekam auch keine Rückendeckung.
Irgendwo am Horizont, das war ja versprochen, lag die Zukunft und das THEMA sollte in seinen Grundzügen migriert werden.
Es zeichnete sich ab, daß es ein Folgethema geben würde und ich fragte nach, aber die Leute, die damit zu tun hatten, wollten nicht mit mir reden. Dein Protege redete aber mit den Leuten. Und ich fragte immer wieder den Chef zwischen uns, was denn jetzt wäre, was damit sei, wann Migration und ob ich an der Neuentwicklung des Folgethemas arbeiten könne, ich möchte, wöllte, könnte. Es gab mehrere Gespräche. In zeitlichen Abständen. Keiner sprach mit mir. Und dann hieß es nur: nun wird migriert.
Ich bin eine folgsame Mitarbeiterin. Also sprach ich mit dem Dienstleister, der übernehmen sollte.
Und dann stellte sich heraus: es wird nicht migriert. Der Dienstleister macht die Neuentwicklung. Der Klotz am Bein bleibt der Klotz am Bein. An meinem Bein. Der Dienstleister hat sich das Wissen abgesaugt, um die Neuentwicklung schnell und rasch umsetzen zu können, denn inzwischen drängte die Zeit für das Folgethema. Und am Ende hieß es: Du hast es mißverstanden. Oder der Dienstleister hat es mißverstanden. Am Ende saß ich da und um mich schwirrte alles.
Ausgebootet. Das ist das richtige Wort dafür, lieber Chefchef. Du weißt es vielleicht nicht, denn Du bist in jeder Kommunikation und jedem Entscheidungsprozeß ein Teil des Ganzen, aber ich sitze am Ende der Kette und bekomme nur das Ergebnis und das Ergebnis heißt: Du arbeitest nicht an der neuen Sache.
Warum? War man unzufrieden mit meiner Arbeit? Man sagt nein? Aber was ist der Grund? Ich bekomme gesagt, man wolle A) tun (Migration), aber getan wird B) Neuentwicklung. Ich sitze da und spiele mir an den Füßen, denn außer uninteressantem Knöpfchendrücken habe ich nichts mehr zu tun und der Dienstleister klagt, er wisse gar nicht, wie er das THEMA überhaupt unterbringen soll vor lauter Arbeitsbelastung.
Ich möchte arbeiten. Ich arbeite gerne. Für meine eigene Zufriedenheit. Für das Wohl meiner Kunden. Für das Unternehmen. Auch für Anerkennung und Stolz.
All das bleibt mir verwehrt.
Am Ende, lieber Chefchef, würde es mich nicht wundern, wenn Du das alles ganz anderst siehst. Vielleicht denkst Du, ich bin voll beschäftigt und glücklich mit meinen Aufgaben. Du läßt Dich nur selten blicken, denn Du bist immer im Streß und in Meetings und ich habe Angst, Dir unter Tränen, die mir jetzt fast täglich in der Kehle hängen, zu sagen, wie ich mich fühle.
Ich habe es versucht, über den Chef, der zwischen uns sitzt, zu klären. Aber er hat A) gesagt (er klärt das) und B) getan (nichts geklärt).
Was soll ich nun tun?
Ich habe mit Kollegen gesprochen. Man sagt: „Wenn ich nicht müßte, ich würde hier nicht arbeiten.“ „Wenn ich das Geld nicht bräuchte, ich wäre weg“ „Wenn ich nicht weiterleben müßte wegen der Kinder, ich würde mir einen Kopfschuß setzen“ „Erwarte keine Unterstützung, die bekommst Du hier nicht, von niemandem“ „Ich habe nach Projekten gefragt und man wollte sich darum kümmern, aber dann ist nichts passiert“ „Selbst das Popel-Unternehmen XYZ tut mehr für die Entwicklung seiner Mitarbeiter“ „Nimm es Dir nicht so zu Herzen, das ist es nicht wert“
Ich bin also jetzt eine überbezahlte Mitarbeiterin, die ihre Zeit damit verbringt, den Lauf der Dinge zu beobachten, ein paar Knöpfchen zu drücken und im Internet zu surfen. Ich warte darauf, daß man eines Tages feststellt, daß ich überflüssig bin, ich bin Bewohnerin eines sterbenden Staates und das alles hat mich so zermürbt, daß ich es nicht wage, meine Arbeitskraft woanders anzupreisen, denn am Ende einer solchen Reise hat man das Gefühl, daß man nichts mehr ausrichten kann.
Wenn ich nicht wüßte, daß das Leben so viel Schöneres für mich bereithält, ich würde direkt aus dem Bürofenster springen.

Deine tieftraurige midori

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Samstag, 4. Februar 2012
[So ist das also...]
Da denken Sie vielleicht, all der Glitzer und die schönen bunten Kleider und alles wunderbar, das mit dem Turniertanzen, aber heute wurde dann mit einem Din A4 Ausdruck eigentlich die Absurdität des ganzen überdeutlich. Aber wo beginnen?
Irgendwo tief im Westen, aber dann doch ab vom Schuß, dort, wo nach 500 Metern dann die Wiese beginnt und die Landstraße eine Schneise durch die graue Winterszenerie zieht, dort, in der Schulaula einer Fördereinrichtung, dort hing dieser Zettel.
Aber vorher mußten wir erstmal da rein. Es hatte wohl keiner daran gedacht, Wegweiser aufzuhängen, also irrten wir zunächst etwas herum. Dann waren wir zu früh (Anfängerfehler!) und es gab noch keine Startnummer.
Vereinsmitglieder dekorierten, Kinderzeugs wurde mit rotem Samt abgedeckt, Kunststoffbehälter voller selbstgebackener Kuchen stapelten sich am Buffet, unbeholfene ältere Herren waren mit dem Arrangieren überfordert, es dauerte gefühlte Stunden, bis ich einen geschmacklich äußerst fragwürdigen Kaffee bekam, alles ist etwas provisorisch bei solchen Veranstaltungen, aber das hat auch einen gewissen Charme. Und dann der Zettel: "Tänzermenü 2,50 €", darunter: "Würstchen mit Kartoffelsalat". Das, meine verehrte Damen und Herren, ist offenbar die Grundlage des tänzerischen Erfolgs. Gesunde Ernährung? Frische Lebensmittel? Was soll der neumodische Kram? Kuchen, die seit Generationen, also seit ich mich entsinnen kann, im Orbit des Rezeptetauschens kreisen, darunter Klassiker wie Käsekuchen mit Mandarinenstückchen (heute in zwei Varianten), Rhabarber mit Baiserhaube (leider zu süß), Butterkuchen mit Mandeln (leider zu dünn), Brötchen mit Käse, Schinken oder Salami und der vereinsübergreifenden Verzierung aus gefächerten Gürkchen und eben der Kartoffelsalat mit Würstchen.
Rentner eiern mit Gehwagen oder ohne an ihre Plätze, eigentlich, so denke ich, ein richtiger Pro-Tipp für ältere Leute: günstiger Kuchen und Show-Programm für den ganzen Tag, und das ganz ohne Eintritt.

Umkleide ist in der Schulkantine. Noch haben wir es gut, in der untersten Klasse starten die Turniere zu Beginn des Tages, das heißt, man hat noch freie Auswahl, wo man sich breit machen kann. Auch gut: es gibt noch nicht so viele Zuschauer, die dem bizarren Treiben beiwohnen möchten, die Kleiderordnung verbietet Glitzer und Zierrat, die dargebotenen Leistungen haben auch noch Potenzial nach oben, um das mal so zu sagen.

Und dann merkt man auch deutlich seine Lücken im Showteil: ja, wohin verbeugen wir uns eigentlich? Und wie, verdammt, verbeugt man sich gekonnt? Andere Paare machen richtig Tamtam mit Drehungen und Hastenichtgesehen, wenn Sie mich fragen dem Rahmen und der Klasse nicht recht angemessen, aber wer's mag.... Und dann Lächeln, Lächeln, hat die Trainerin gesagt, nicht: böse gucken. Und nicht: Augen verdrehen, wenn man gerade wieder mitbekommt, daß der Mann einen Blackout hat und man denkt, omg, was tanzt der denn jetzt, oh nein, jetzt die Ecke, was wird er wohl tun, und oh, nein, was war das denn jetzt, omg, omg, omg, wenn das mal gut geht. Nein, ich soll freundlich gucken und lächeln. Habe ich auch gemacht. Dachte ich. Der Vereinskollege, der zufällig auch da war und eine Gruppe nach uns startete, meinte aber: nein. Scheint also ein Muskeln zu sein, der beim Tanzen nicht funktioniert. Noch nicht.

Alle sind ernsthaft bei der Sache, Turnierleiter, Beisitzer, Wertungsrichtiger, alles höchstwichtig. Keiner scheint zu merken, wie bizarr das ist, ich meine, wir sind hier am Rande der Welt sozusagen, ich habe die Haare schön, andere Frauen sind aufgetakelt wie zum Karneval, aber die Realität besteht aus Tänzermenü und Kantinenumkleide. Scheint aber keinen zu stören.

Und das ist vielleicht auch das Geheimnis des Ganzen. Viele Leute, die an solchen Veranstaltungen mitwirken und dem sportlichen Rahmen Leben einhauchen, eben mit Selbstgebackenem und indem sie ihre Oma mitbringen und andere die Kinder. Man macht es sich schön und deckt die Kaffeetafel und sei es eben mit Tänzermenü und man macht ein wenig Brimborium, damit auch Leute wie wir ein wenig das Gefühl haben, und sei es auch nur für kurze Zeit, im Rampenlicht gestanden zu haben. Einmarschieren, Verbeugen, Tanzen, Verbeugen, nochmal Tanzen, Verbeugen, Ausmarschieren, Siegerehrung, Posieren für das Foto mit der Urkunde und dem Geschenk - diesmal zum Glück kein Sekt! - fertig.
In der Runde danach Vereinskollegen anfeuern (muß ich auch noch üben und sei es nur, im richtigen Moment zu klatschen).

So ist das also.
Und nächste Woche nochmal.


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