Dienstag, 16. März 2010
[FIMO]
Plötzlich gestern vor Augen, das kleine Fohlen aus FIMO, braun mit weißer Blesse, das Tine gemacht hatte. Es lag dort friedlich auf einer grünen Unterlage auf dem Regalbrett. Daneben die kleine Schale mit selbstgemachtem Emaille. Vor einer Reihe Karl May-Bücher.

---

Maulwurfshaufen im Garten. Gehörten irgendwie dazu, ich ging nie davon aus, daß sie störten.

---

Die Narben meiner Kindheit. An der Innenseite des Fußes, aufgeschnitten an einem Wellblech. Die am Knie, Schlittschuhlaufen im Winter. Die andere: gestürzt im Sommer.

---

Meine Mutter vor Familienfeiern auf den Knien mit der Hand den Teppich shampoonierend. Die Verwunderung, wenn andere es bei uns schmutzig fanden, ich fand es normal und die anderen in ihrer Reinlichkeit übertrieben. Meine Mutter, die sich für den Schmutz und die Ärmlichkeit immer schämte.
An mich vererbt, jetzt Nahrung für die spießigen Seelenfresser im Erdgeschoß. Und nicht nur die.

---

Der Gartenbereich mit den Kieselsteinen. Wir suchten immer die heraus, mit denen man auf den Gehwegplatten malen konnte. Von weiß über ocker bis dunkelrotbraun.

----

Die alte Haustür mit dem großen Schlüssel. Wir hatten keine Klingel. Als wir ein Telefon bekamen, war es ein tolles Spielzeug.


---

Der Wandschrank in der Küche, irgendwann beklebt mit einer Holzimitat-Tapete. Dahinter das Schwarzbrot vom Dorfbäcker, Butter und die selbstgekochte Marmelade.


---

Der alte Ofen in der Küche. Wir hatten keinen Keller, aber einen Raum, der war Werkstatt und Brikettlager.
Werkstatt immer unaufgeräumt und unsortiert. Werkzeug immer rostig. Werken immer Improvisation.

---

Der Dieseltank im Hof. Ich liebte den Geruch.

---

Auf dem Trekker mitfahren.
Auf der Wiese Butterblumen pflücken.

---

Kälberstall. Die Kälber, die die ganze Kinderhand in den zahnlosen Kälbermund einsaugten.
Heute Herzschmerz beim Gedanken, daß sie so früh von der Mutter getrennt wurden.
Überhaupt Kälber. Kälbergeburten. Wie die weichen Hufe herausschauen. Dieses Werkzeug, wenn es schwer ging, ein Seil um die Beinchen gebunden und mit der Ratsche herausgezogen, bis es plötzlich in einem Rutsch herausflutschte. Abreiben mit Stroh.
Wie das Kalb dann irgendwann zitternd und ungelenk auf allen Vieren steht.

---

Der Nußkuchen meiner Oma. Mit Gries.
Und Suur Supp, saure Suppe mit Mehlklößen und Backpflaumen. Weißbrot mit dick Butter und Zucker oben draufgestreut, das gab's nur bei der Oma. Umarmungen nie.
Oma, hüftlanges Haar, immer akkurat hochgesteckt.
Manchmal schlief sie auf dem Sofa ein und schnarchte mit offenem Mund, während ich bei ihr fernsah.
Fernsehen und Süßigkeiten gab's bei Mutter nicht. Dafür Umarmungen, Singen, Vorlesen.

---

Der Garten hinter dem Haus.
Dann die Hauskoppel, das Feld, das sich direkt anschließt.
Heute ein Neubaugebiet.

---

Da waren auch die Schuppen, Lagerplätze für Heu, Stroh, die rostigen Maschinen.
Für alles einen Platz. Für die Misthaufen, für die Rüben, für die Strohballen.

---

Spielen auf den Strohballengebäuden, Zimmer bauen, Möbel bauen, verstecken.

---

Junge Möhren aus der Erde ziehen, an der Hose abputzen. Sand, der zwischen den Zähnen knirscht.

---

Mein Fahrrad ist ein Pferd und ich reite durch die Felder, über die Hauskoppel, dann links bis zur Gabelung, dann rechts an den Weiden vorbei, dann wieder links. Weiter nicht. Weiter ist zu weit.
Dann zurück.

---

Schlüsselblumen am Kanal. Himmelschlüssel nennt Mutter sie. Die abschüssigen Wiesen. Im Winter Rampen zum Schlittenfahren.


---

Der Radweg ins Nachbardorf, damals so weit. Zum Badesee. Immer nur bis zur Nichtschwimmerbegrenzung. Pommesbudenduft geschnuppert. Niemals selbst Pommes gegessen, dafür war kein Geld da. Im Sommer manchmal Eis.
Warum eigentlich Eis und keine Pommes?

---

Die vier großen Linden vor dem Haus. Laubfegen im Herbst. Satte, hellgrüne Blätter im Frühsommer, dunkelgrüne Blätter im Spätsommer. Sich in der Luft um sich selbst drehende Lindenblütenreste, die zu Boden fallen.


---

Flieder im Garten.
Ostereierverstecken. Der Vater versteckte sie immer, manche auch im Geäst des Flieders.

---

Sonntagsfrühstück. Immer festlich gedeckt. Manchmal frische Apfelbrötchen.

---

Frage mich, wo wohl das FIMO-Fohlen geblieben ist. Verlorengegangen, irgendwann, irgendwo, da wo auch die zerbrochene Kindheit hin verloren ist.
Manche können ja zurück in das Haus ihrer Kindheit, finden dort die Erinnerungen, bewahrt von den Eltern, schau mal hier, oder auf dem Dachboden.
Ich habe fast nichts aus meiner Kindheit, ein paar Kinderbücher, mit ungelenker Hand mein Name hineingeschrieben, bemüht um Schönschrift, kringelig und rund oder unten abgeflacht, weil auf einem Lineal entlang, aber trotzdem schief.
Die Bücher und Bilder in meinem Kopf.





.

... comment

 
...bei uns gab es SURALIN statt FIMO. Mal sehen, was alles zu Tage kommt, wenn es in zwei Wochen gen alter Heimat geht und P. umzieht...

... link  


... comment
 
Wenn man es so liest, klingt es erst mal gar nicht so unglücklich. Eher idyllisch. Ein bisschen wie bei Astrid Lindgren.

... link  


... comment
 
Du hast ganz sicher nicht nichts aus Deiner Kindheit. Diese Erinnerungen, die Du schilderst, sind so lebendig, dass man sie fast greifen kann...

... link  

 
ja. dies auch mein eindruck. da ist viel gutes und schönes in der erinnerung geblieben. näher und lebendiger als ein fimo-pferd es vielleicht wäre.

(ich hatte ganz viele eigene bilder beim lesen im kopf. erinnerungen an die westfälische verwandtschaft, die felder, den kuhstall, spiele zwischen leitern auf dem hof... - danke!)

ein schönes, erholsames wochenende!
kathrin

... link  


... comment