Freitag, 25. September 2009
[Blepharoplastik, Tag 2]
Die Nacht war besser, wenn auch nicht bequemer. Zu Hause hält mich nichts, mir fällt einfach die Decke auf den Kopf. Aber ich bin unschlüssig, was kann ich machen?
Heute können die Pflaster runter, hat die Ärztin gesagt, am Nachmittag. Bis dahin die Zeit herumbringen.
Habe keinen Bock auf Hörbücher, natürlich ist unter den 20 zur Auswahl stehenden keines, auf das ich Bock habe, wie sollte es anders sein? Radio hören? Kochen? Essen? Keine Lust.
Ich mache mich notdürftig zurecht, setze meine Sonnenbrille auf und los geht's in eine weiter entfernte Stadt.

Der Schaffner im Zug spricht mich an: ich müsse mich doch nicht schämen wegen der Op, sagt er. Wie? Was? Hat er was gesehen? Naja, die Brille bräuchte ich nicht wirklich, aber ich habe keine Lust, daß die Leute mich anstarren. Sollen die sich halt ihren Teil denken.

Das Wetter ist gut, ich bummle durch die Fußgängerzone. Dummerweise sehe ich immer noch nicht richtig, vor allem nicht durch die Sonnenbrille. Also muß ich immer ganz nah an die Schaufenster oder irgendwelche Schilder. In den Geschäften schiebe ich die Brille schonmal ein paar Millimeter hoch. Irgendwie macht es keinen richtigen Spaß. Vor allem macht es keinen Spaß, alles alleine zu tun.
Im Alltagstrott ist man doch irgendwie immer beschäftigt und auch immer irgendwie mit Leuten zusammen. Wenn man mehrere Tage die meiste Zeit alleine ist und nur wenig mit anderen kommuniziert, fühle ich mich schnell wie so eine Eremetin, die komische Alte, die mit den Blumen und den Katzen spricht, irgendwie so, seltsam, so isoliert vom Rest der Welt mit seiner Geschäftigkeit. Ein Grund mehr, das ganze Vorhaben in Frage zu stellen. Aber es ist ja bereits Fakt, also rückgängig is nich. Also durch da.

In der Klinik zieht die Ärztin mit einer Pinzette die Pflaster ab. Sie hat offenbar großes Vertrauen in die Naht, ich selbst hätte nicht so beherzt am Lid gezogen, aber das ist halt die Routine, ich tendiere ja schon etwas zur Wehleidigkeit gerade, auch wenn ich es nicht heraushängen lasse. Alles sieht gut aus, Montag kommen die Fäden raus.

Ich hole den Liebsten von der Arbeit ab. Der Kollege labert mich zu, wie es seine Art ist. Er fragt nicht, warum ich die Brille nicht abnehme, er akzeptiert es einfach, auch wenn er nicht weiß, was los ist.

Vom Büro aus darf ich auf dem Fahrradgepäckträger des Liebsten mitfahren. Wir radeln durch die Abendsonne, durch Grünanlagen, stille Wohnviertel, dann vorbei an Geschäften, Leuten, die die letzten warmen Strahlen im Straßencafé genießen. Es ist so romantisch, ich fühle mich wie in einem französischen Film, mindestens. Am Bahnhof küssen wir uns vor der untergehenden Sonne.

Zu Hause der Blick in den Spiegel. Meine Augen sehen aus, als seien es nicht meine, als hätte jemand etwas Fremdes in mein Gesicht getan.
Immerhin gehen die Augen jetzt etwas weiter auf.
Schlafzimmerblick in Pink.

Ich kann nicht schlafen.

(Bild, wer sich traut, in den Kommentaren)



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[Blepharoplastik, Tag 1]
Die Nacht war nicht gerade entspannend, mein Rücken und mein Nacken schmerzen. Ich kann die Augen nur wenig öffnen, weshalb ich oft den Kopf in den Nacken legen muß, um etwas zu sehen.
Ich mache einen Spaziergang zur Post, nicht alleine, der Liebste begleitet mich. Die Bewegung tut gut, aber der Luftzug hinter der Brille ist unangenehm. Warum eigentlich Luftzug? Ich dachte, diese Sportbrille verhindert genau das?
Blöderweise ist nach einer Schönwetterperiode jetzt der Himmel grau. Bester Zeitpunkt also, um mit einer Sonnenbrille nicht aufzufallen.
Ich merke, wie erschöpft ich mich körperlich fühle, komme beim Treppensteigen außer Atem. Seltsam. Ich bin doch nicht krank, oder?

Der Liebste muß weg, den Rest des Tages bin ich auf mich gestellt. Ich höre Hörbuch, koche Nudeln, das geht alles. Mir ist trotzdem langweilig, denn die Dinge, die ich wirklich gerne tue, kann ich nicht tun. Stricken ist auch nicht drin.

Der Liebste hat es vorausgesagt, daß die Geduldsprobe hart wird für mich. Man selbst will ja manche Dinge nicht wahrhaben. Dabei ist es doch erst gestern gewesen.
Jedenfalls habe ich das krasseste Augenmakeup in the city. Mindestens.

(Bild, wer sich traut, in den Kommentaren)


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[Blepharoplastik]


Irgendwie kommt mir alles irreal vor. Ich habe schlecht geschlafen, unruhig, schlecht geträumt.
Der Termin ist um 11, ich kann also noch frühstücken, aber ich bekomme nichts herunter außer den üblichen zwei Milchbrötchen. Mir ist schwindelig, einer meiner Zähne zickt, ausgerechnet jetzt!
Immerhin bin ich doch gesund, seit Mitte Mai schon, mal abgesehen von diesen Ecthyma, aber das Labor hat belegt, daß mein Immunsystem in Ordnung ist, kein Grund zur Sorge.

Die Bahnfahrt ist lang, ich kenne das ja schon, irgendwie rauscht alles vorbei. Mir ist kalt. Ich möchte schlafen. Warum mache ich das eigentlich? Der Liebste liebt mich so wie ich bin. Aber ich nicht. Aber ich werde mich auch hinterher nicht mehr lieben, diese alte Feindschaft zu mir selbst, die kann man schließlich nicht operieren. Leider.

"Wie fühlen Sie sich?", fragt die Ärztin. "Nervös.", sage ich und sie sagt, das sei normal.

Ich bekomme ein Zimmer gezeigt. Ach, ein Zimmer, denke ich, werde ich also nicht irgendwo in einer Kabine später liegen, sondern in einem eigenen Zimmer.
Ich muß mich bis auf die Unterwäsche ausziehen und bekomme grüne Sachen, eine Haube für die Haare.
Die Sachen sind so weit, ich habe Mühe, die Hose so zu schnüren, daß sie mir nicht von den Hüften fällt.



Dann muß ich warten. Es gibt einen Krankheitsfall unter den Op-Schwestern, man muß umorganisieren.

Ich meditiere auf einem Stuhl, versuche zu entspannen, traue mich nicht, mich ins Bett zu legen um zu schlafen. Also mache ich den Fernseher an. Das Programm ist grauenvoll. Wie sollte es anders sein.

Irgendwann werde ich abgeholt. Verlegene Blicke mit der Schwester im Fahrstuhl. Ich bekomme noch andere Schuhe, dann darf ich in den Op.
Aus einem Ghettoblaster dröhnt fetzige Radiomusik, alles ist zweckmäßig, nicht groß, eine Schwester, eine Helferin.
Die Ärztin kommt, ich muß mich hinlegen, dann wieder setzen, hinlegen, setzen, sie malt mit einem Stift, hebt mit einer Pinzette die Haut, malt, schiebt, sehr konzentriert. Dann ist sie zufrieden.
Das Musikprogramm wird auf Entspannung umgestellt.
Schwester und Ärztin machen sich steril, dann wird mein Gesicht gründlich abgewaschen und abgetupft.
Ich lege mich endgültig hin, werde mit einer Decke zugedeckt, mein Gesicht wird mit Tüchern zugedeckt, alles wird festgeklebt.
Es ist das letzte, was ich für die nächsten Stunden sehen werde.

Sie wird mir jetzt das Anästhetikum spritzen, sagt sie. Der Einstich sitzt etwas oberhalb des rechten Augenwinkels, es ist unangenehm, aber es läßt schnell nach, nicht dieses nachbohrende Stechen, das ich vom Zahnarzt kenne, kein Vergleich.
Es fühlt sich kalt an auf dem Augapfel, das Lid zuckt unwillkürlich, aber dann ist es vorbei, ich spüre nichts. Ich kann es mir nur vorstellen, was geschieht, so ungefähr weiß ich es ja. Der vorher angezeichnete Hautüberschuß wird chirurgisch entfernt, die größeren Blutgefäße werden verödet, damit es nicht so stark nachblutet, dann werden die Kanten mit einer Unterhautnaht zusammengefügt. Darüber kommen dünne Pflasterstreifen. Beim Veröden erschrecke ich einige Male, weil man es durch das Lid durchblitzen sieht, sonst ist alles völlig entspannt.
Als das Auge fertig ist, wird es mit einer Eiswasser-Kompresse abgedeckt; die Schwellung verhindert, daß das Auge sich komplett schließt, aber das wird sich bis zum Abend geben.
Das andere Auge. Gleiche Prozedur. Ich kann nichts mehr sehen.
Die Schwestern geben mir Anweisungen, ich soll auf eine Liege neben dem Op-Tisch rutschen. Ok. Dann rollt die Liege. Erstmal in eine Kabine neben dem Op. In den anderen Kabinen liegen andere Leute. Leute, die nicht freiwillig hier sind, eine Frau ist ganz benommen, eine andere wird gleich abgeholt. Die Schwestern sprechen laut und klar, mit eingeübter Freundlichkeit.
Ab und zu kommt eine zu mir und wechselt die Eiskompressen auf meinen Augen. Durch die Schlitze sehe ich nur Schatten huschen.

Irgendwann werde ich auf mein Zimmer gefahren, die Schwester macht den Fernseher an, man erklärt mir, wo was steht. Rechts das Telefon, links die Fernbedienung. Augen nicht öffnen. Auf dem Bauch die Schale mit dem Eiswasser.
Dann bin ich allein.
Ich habe kein Zeitgefühl, das Fernsehen nervt, statt abzulenken. Würde lieber Radio hören. Aber ein Radio gibt es hier nicht.

Schwestern kommen in regelmäßigen Abständen, ich bekomme Wasser zu trinken, ich werde zur Toilette geführt, darf aber alleine pinkeln, die Augen darf ich auch ein wenig öffnen, aber es geht auch gar nicht mehr als ein schmaler Schlitz.

Die Ärztin kommt und begutachtet mich, scheint zufrieden, legt neue Kompressen auf.
Warten. Trinken. Nochmal pinkeln. Dann die Nachricht, daß ich abgeholt werden kann. Eine Schwestern paßt auf, daß ich beim Wechseln der Kleidung nicht umfalle. Ich kann ihr Gesicht nicht sehen, ich sehe alle nur bis zur Gürtellinie, Beine mit Stimmen.
Bis auf eine nennen sie ihre Namen nicht und sie nennen auch meinen Namen nicht. Im Op war ich "die Oberlider". Sachlich, praktisch.

Ich setze meine Sonnenbrille auf und der Liebste führt mich hinaus.

Den Rest des Tages verbringe ich im Bett, Eiskompressen auf den Augen. Außer einem leichten Brennen spüre ich nichts. Ich traue mich nicht in den Spiegel zu schauen, wenn ich auf die Toilette gehe, lasse ich die Sonnenbrille auf - dabei könnte ich den Blick ohnehin nicht weit genug heben, um micht selbst zu sehen.
Abends sehe ich House, durch die Schlitze ist alles unscharf. Ob das wegen der Wimpern ist?
Ich schlafe mit erhöhtem Oberkörper, werde immer wieder wach. Kompressen wechseln, Katzen streicheln, wieder einnicken. Mein Rücken tut weh, mein Nacken ist verspannt, aber ich habe es ja so gewollt.

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Dienstag, 15. September 2009
[Wie ich mir fast in die Hose gemacht habe]
Tanzschule.
Ich so (zartschmelzend): "Mein Führer!"
Der Liebste hält sich Zeige und Mittelfinger einer Hand geschlossen an die Oberlippe, verstellt die Stimme:
"Wollt Öhr döhn totalen Tanz?"


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