Dienstag, 20. Oktober 2009
[Identifikation und Verantwortung?]
Früher, da hat der Bäcker bei uns auf dem Dorf seine Brötchen gebacken, sein Brot und den Kuchen und verkauft und wenn etwas nicht geschmeckt hat, dann haben die Kunden gemeckert und er hat's dann vielleicht anders gemacht oder gar nicht mehr.
Jetzt sitzt der Bäcker in einer Fabrik, die nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten und deckungsbeitragsoptimiert aus schlechten und billigen Zutaten irgendetwas zusammenmischt, im Laden steht die schlecht bezahlte Verkäuferin.
Wenn mir etwas nicht schmeckt, kann ich das vielleicht sagen, aber ich kann's ja genauso gut auch lassen, denn den Bäcker oder besser noch: Entscheidungsträger wird das ohnehin nicht erreichen.
Ich kann noch nichtmal sagen, daß es heute ausnahmsweise einmal besonders gut geschmeckt hat.
Ich bin das Kundenvieh, ich kaufe oder kaufe nicht, das ist nahezu meine einzige Einflußmöglichkeit.
Es könnte so schön sein. Ist es aber nicht.

Ich will umweltbewußt sein und fahre am Wochenende mit der Bahn. Trotz aller schlechten Erfahrungen, die ich mit Bahnfahren im Nahverkehr am Wochenende gemacht habe.
Und wieder werde ich bestraft.
Ich muß nur eine Station fahren, fünf Minuten. Der Zug hat 20 Minuten Verspätung, die Fernzüge werden nicht freigegeben, denn Fernverkehr und Nahverkehr, das sind ja bei der Bahn seit Jahren getrennte Geschäftsbereiche.
Am nächsten Tag stehe ich in der dreckigen S-Bahn und sie fährt aus unerfindlichen Gründen nur Schrittgeschwindigkeit. Ich bin eingesperrt, kann nicht raus. Keine Durchsage, keine Information.
Ich möchte randalieren. 10 Minuten dauert die Strecke. Nach 25 Minuten bin ich da. 15 Minuten, die mir fehlen im knappen Zeitplan.
Ich bin nur das Kundenvieh. Ich kaufe oder kaufe nicht. Wenn’s Dir nicht paßt, dann steh doch mit dem Auto im Stau.
Verantworlich ist niemand.

Und auch dort wo ich arbeite, werden die Prozessketten zerteilt, es wird outgesourcet, umstrukturiert, optimiert, gestrafft. Und am Ende stehe ich da und frage nach Inhalten, brauche Informationen, aber da sitzen nur noch Knöpfchendrücker ohne Verantwortung und zucken mit den Schultern.
Verantwortlich ist niemand mehr. Bescheid weiß niemand mehr. Und wenn Du überleben willst, dann betreibst Du Politik, aber eine Garantie ist das nicht, am Ende wirst Du vielleicht trotzdem wegoptimiert.
Ich bin das Arbeitsvieh, eine Zahl, ein Kostenfaktor. Ich komme an meinen Schreibtisch oder nicht. Einen Unterschied macht es bei realistischer Betrachtung nicht.

EDIT:
Und nicht zu vergessen: Callcenter!
Man bekommt natürlich niemanden an die Strippe, der irgendwie Verantwortung trägt, der sitzt die arme Agent-Sau und hat ihre Vorgaben und wenn Du kein Schwein sein willst, benutzt Du den Menschen da am anderen Ende eben nicht als Schlechte-Laune-Absorber, aber ob dann der Anruf überhaupt lohnt?
Wohl kaum. Manche wollen dann doch einfach nur sich selbst in die Tasche lügen, lieber mittelmäßig bis saumäßig sein und nach außen die Tollsein-Hochglanzfassade.


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