Dienstag, 25. März 2008
[44]
midori, 11:11h
Lieber Micha,
Du bist die größte Nervensäge, die ich kenne. Ehrlich jetzt. Manchmal, da habe ich einfach keinen Bock ans Telefon zu gehen, wenn Du anrufst. Denn Du überrollst einen mit Deinen Wortlawinen, egal, ob man gerade aus dem Schlaf hochgeschreckt ist, ob man Kopfschmerzen hat, oder aus der Arbeit herausgerissen wird und schonmal gar nicht alleine im Büro sitzt. Für solcherlei Feinfühligkeiten bist Du nicht zu haben. Und dann erzählst Du, was bei Dir gerade so los ist. Du erzählst von Deinen Plänen, Deinen Ideen, Deinen Projekten. Dein nimmer endenwollender Tatendrang, Deine Kreativität, Deine Lebenslust, Deine endlosen Geschichten. Wenn ich recht überlege, habe ich Dich noch nie wirklich schlecht gelaunt erlebt. Du hast davon erzählt, wie Du Dich geärgert hast, über dieses und jenes, auch von der schwierigen Ehe. Aber Du nimmst das Leben, wie es kommt. Denn es kann jeden Tag vorbei sein.
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Nach dem ganzen Streß in den letzten Wochen machen wir uns heute mal einen schönen ruhigen Abend. Heute haben wir noch das Zimmer unserer Tochter umgeräumt. Sie hat jetzt ein Hochbett. Die letzten Wochen waren hart. Der Tod der Schwiegermutter, die ganze Organisation; die Frau konnte kaum etwas mithelfen, denn sie mußte immer im Geschäft arbeiten. Wenn man selbständig ist, kann man nicht einfach Urlaub nehmen. Und wenn das Geschäft zu ist, wird kein Geld verdient. Und wenn man eben nur ein kleines Geschäft hat, dann ist man auf jeden Cent angewiesen.
Als die Mutter beerdigt wurde, habe ich mir Scharlach eingefangen. Junge, Junge, solche Halsschmerzen hatte ich im Leben nicht. Aber Penicillin und zack: Halsschmerzen nach einem Tag weg.
Aber seitdem geht es mir nicht gut. Die Pumpe. Aber, das kennt man ja, das geht ja schon seit Jahren so. Morgen ist ein neuer Tag. Heute Abend ist ausruhen angesagt.
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Gegen 18:15 Uhr trafen wir im Haus der Familie B ein. Der Patient war bei vollem Bewußtsein, orientiert und ansprechbar. Er gab an, bereits den ganzen Tag unter Schmerzen in der Brust zu leiden. In der Vorgeschichte gab es bereits zwei Infarkte, Herzleistung angegeben mit 40%. Der Patient nannte uns seine Medikation, betonte, daß die Schmerzen eine andere Qualität als sonst hätten, er spüre ein Brennen.
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Dann hat er plötzlich das Bewußtsein verloren und sie haben ihn reanimiert. Eine Stunde lang haben sie mit vier Mann gearbeitet. Im Wohnzimmer. Es sah aus, wie auf einem Schlachtfeld. Überall zerbrochenes Glas, die Ampullen. Infusionen. Ich mußte die Beutel halten. Oben weinte das Kind. Und der Hund hat gebellt. Er hat gekrampft und sich immer wieder aufgebäumt. Sie haben alles mit ihm gemacht, wovor er immer Angst hatte. Inklusive Spritze direkt ins Herz. Irgendwann haben sie ihn auf der Trage in den Rettungswagen getragen. Sie sind nur 20 Meter gefahren, dann mußte der Notarzt anhalten und wieder in den Rettungswagen. Dann sind sie weitergefahren ins Krankenhaus. Ich konnte ihn nicht halten, nicht die Hand halten, nicht sagen, daß er durchhalten soll, daß er es schafft. Ich habe die ganze Zeit gedacht, Du mußt ihn gehen lassen.
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Manchmal, da weiß man schon beim Blick aufs Display des Telefons, was der Anrufer sagen wird. Denn dieser Anrufer ruft normalerweise nicht an. Normalerweise rufe ich ihn an, aber nicht er mich.
Ich sehe seinen Namen auf dem Display und ich weiß: es ist was mit Micha. Krankenhaus oder tot.
Er sagt, daß es schlechte Nachrichten gibt. Ich sag mal so, sagt er, er hat es nicht geschafft. Er sagt nicht 'tot', er sagt 'nicht geschafft'.
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Lieber Micha,
Du hast immer in vollen Zügen gelebt und keine halben Sachen gemacht. Ich habe Dich, das gebe ich zu, insgeheim oft belächelt. Aber auch beneidet. Denn Du hast jeden Traum versucht wahrzumachen. Du hast geheiratet, ein Kind gezeugt, ein Haus gebaut, ein Buch (und viele Geschichten) geschrieben, mindestens fünf Bücher angefangen, Musik komponiert. Du warst immer offen für Menschen. Du hattest ein großes Herz. Du warst ein Kindskopp und ein Chaot, die größte Nervensäge, die ich kannte, immer im Streß, immer voller Tatendrang und immer tausend Pläne.
Wir wollten doch jetzt bald zur FiBo, Muskelmänner gucken. Du wolltest in Kürze in den Urlaub fahren. Du hattest ein Treffen mit alten Freunden organisiert. Wir zwei wollten doch noch das Kassenprogramm für Deine Frau umschreiben.
Jetzt rufst Du nicht mehr an. Kein Wortschwall mehr. Keine Geschichten. Keine Pläne.
Du warst immer extrem. Selbst in Deinem Gehen.
Gestorben am Karfreitag.
Beerdigt wirst Du am ersten April.
Das wäre ganz nach Deinem Gusto gewesen.
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Du bist die größte Nervensäge, die ich kenne. Ehrlich jetzt. Manchmal, da habe ich einfach keinen Bock ans Telefon zu gehen, wenn Du anrufst. Denn Du überrollst einen mit Deinen Wortlawinen, egal, ob man gerade aus dem Schlaf hochgeschreckt ist, ob man Kopfschmerzen hat, oder aus der Arbeit herausgerissen wird und schonmal gar nicht alleine im Büro sitzt. Für solcherlei Feinfühligkeiten bist Du nicht zu haben. Und dann erzählst Du, was bei Dir gerade so los ist. Du erzählst von Deinen Plänen, Deinen Ideen, Deinen Projekten. Dein nimmer endenwollender Tatendrang, Deine Kreativität, Deine Lebenslust, Deine endlosen Geschichten. Wenn ich recht überlege, habe ich Dich noch nie wirklich schlecht gelaunt erlebt. Du hast davon erzählt, wie Du Dich geärgert hast, über dieses und jenes, auch von der schwierigen Ehe. Aber Du nimmst das Leben, wie es kommt. Denn es kann jeden Tag vorbei sein.
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Nach dem ganzen Streß in den letzten Wochen machen wir uns heute mal einen schönen ruhigen Abend. Heute haben wir noch das Zimmer unserer Tochter umgeräumt. Sie hat jetzt ein Hochbett. Die letzten Wochen waren hart. Der Tod der Schwiegermutter, die ganze Organisation; die Frau konnte kaum etwas mithelfen, denn sie mußte immer im Geschäft arbeiten. Wenn man selbständig ist, kann man nicht einfach Urlaub nehmen. Und wenn das Geschäft zu ist, wird kein Geld verdient. Und wenn man eben nur ein kleines Geschäft hat, dann ist man auf jeden Cent angewiesen.
Als die Mutter beerdigt wurde, habe ich mir Scharlach eingefangen. Junge, Junge, solche Halsschmerzen hatte ich im Leben nicht. Aber Penicillin und zack: Halsschmerzen nach einem Tag weg.
Aber seitdem geht es mir nicht gut. Die Pumpe. Aber, das kennt man ja, das geht ja schon seit Jahren so. Morgen ist ein neuer Tag. Heute Abend ist ausruhen angesagt.
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Gegen 18:15 Uhr trafen wir im Haus der Familie B ein. Der Patient war bei vollem Bewußtsein, orientiert und ansprechbar. Er gab an, bereits den ganzen Tag unter Schmerzen in der Brust zu leiden. In der Vorgeschichte gab es bereits zwei Infarkte, Herzleistung angegeben mit 40%. Der Patient nannte uns seine Medikation, betonte, daß die Schmerzen eine andere Qualität als sonst hätten, er spüre ein Brennen.
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Dann hat er plötzlich das Bewußtsein verloren und sie haben ihn reanimiert. Eine Stunde lang haben sie mit vier Mann gearbeitet. Im Wohnzimmer. Es sah aus, wie auf einem Schlachtfeld. Überall zerbrochenes Glas, die Ampullen. Infusionen. Ich mußte die Beutel halten. Oben weinte das Kind. Und der Hund hat gebellt. Er hat gekrampft und sich immer wieder aufgebäumt. Sie haben alles mit ihm gemacht, wovor er immer Angst hatte. Inklusive Spritze direkt ins Herz. Irgendwann haben sie ihn auf der Trage in den Rettungswagen getragen. Sie sind nur 20 Meter gefahren, dann mußte der Notarzt anhalten und wieder in den Rettungswagen. Dann sind sie weitergefahren ins Krankenhaus. Ich konnte ihn nicht halten, nicht die Hand halten, nicht sagen, daß er durchhalten soll, daß er es schafft. Ich habe die ganze Zeit gedacht, Du mußt ihn gehen lassen.
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Manchmal, da weiß man schon beim Blick aufs Display des Telefons, was der Anrufer sagen wird. Denn dieser Anrufer ruft normalerweise nicht an. Normalerweise rufe ich ihn an, aber nicht er mich.
Ich sehe seinen Namen auf dem Display und ich weiß: es ist was mit Micha. Krankenhaus oder tot.
Er sagt, daß es schlechte Nachrichten gibt. Ich sag mal so, sagt er, er hat es nicht geschafft. Er sagt nicht 'tot', er sagt 'nicht geschafft'.
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Lieber Micha,
Du hast immer in vollen Zügen gelebt und keine halben Sachen gemacht. Ich habe Dich, das gebe ich zu, insgeheim oft belächelt. Aber auch beneidet. Denn Du hast jeden Traum versucht wahrzumachen. Du hast geheiratet, ein Kind gezeugt, ein Haus gebaut, ein Buch (und viele Geschichten) geschrieben, mindestens fünf Bücher angefangen, Musik komponiert. Du warst immer offen für Menschen. Du hattest ein großes Herz. Du warst ein Kindskopp und ein Chaot, die größte Nervensäge, die ich kannte, immer im Streß, immer voller Tatendrang und immer tausend Pläne.
Wir wollten doch jetzt bald zur FiBo, Muskelmänner gucken. Du wolltest in Kürze in den Urlaub fahren. Du hattest ein Treffen mit alten Freunden organisiert. Wir zwei wollten doch noch das Kassenprogramm für Deine Frau umschreiben.
Jetzt rufst Du nicht mehr an. Kein Wortschwall mehr. Keine Geschichten. Keine Pläne.
Du warst immer extrem. Selbst in Deinem Gehen.
Gestorben am Karfreitag.
Beerdigt wirst Du am ersten April.
Das wäre ganz nach Deinem Gusto gewesen.
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mark793,
Dienstag, 25. März 2008, 11:15
!
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lac,
Dienstag, 25. März 2008, 11:16
doch ein paar tränen, für dich, für seine familie.
der tod knallt einfach mal so die tür zu.
liebe grüße.
der tod knallt einfach mal so die tür zu.
liebe grüße.
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cabman,
Dienstag, 25. März 2008, 12:32
Sehr nahegehend beschrieben. Traurig, bin ich.
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jammernich,
Dienstag, 25. März 2008, 13:00
Ui... ja so hart ist das. Von einem Tag auf den anderen. An einem Karfreitag. Vielleicht ein gutes Zeichen. Mein Beileid, Frau M.
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diagonale,
Dienstag, 25. März 2008, 13:43
Weia. War Micha der Entertainer an Deinem Geburtstag letztes Jahr? Er muss es sein!
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diagonale,
Dienstag, 25. März 2008, 13:49
Herrje... Jetzt ist es sicherlich schrecklich still bei ihm zuhause. Man wird spüren, dass er nicht mehr da ist. Es gibt ja Menschen, bei denen fällt es nicht wahnsinnig auf, sie waren ja nie ganz da. Aber er war ganz besonders doll da.
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novemberregen,
Dienstag, 25. März 2008, 13:51
[Platzhalter für Worte die nicht kommen]
:-( Tut mir leid, für Sie, für alle.
:-( Tut mir leid, für Sie, für alle.
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